The Arrival of Hannah Arendt
This film describes the arrival of Hannah Arendt - a Jewish, German-American political theorist and publicist - in New York and her reflections on flight and helping people start over.
Wieviele Menschen haben wohl heute hier genächtigt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ein großer Frühstückstisch gedeckt war, als ich schon in aller Frühe mich auf den Weg zum amerikanischen Konsulat machte, um eine Bestätigung zu erbitten, daß wir schon im August unser Affidavit 11Mit dem Affidavit ist eine Bürgschaftserklärung gemeint, mit der Bürger*innen und Organisationen in einem Aufnahmeland, zum Beispiel den USA, bei der Beschaffung von Einreiseerlaubnissen für Verfolgte im nationalsozialistischen Deutschland und dem von ihn besetzten Gebieten helfen konnten abgegeben hatten. Unzählige Menschen standen mit mir an dem kalten dunklen Novembermorgen in dem feuchten Vorgarten des amerikanischen Konsulats. Frauen, blaß, vergrämt, Frauen aus Berlin, Leipzig, Breslau, alle tragen das gleiche Leid, und sie schweigen, handeln schweigend für ihre Männer und weinen im Herzen- Frauenkreuzzug! Stundenlang stehe ich gleich ihnen in Nässe und Kälte, in Regen und Schnee, und plötzlich fällt es mir ein … Mehr als 6 Stunden habe ich gestanden, und er hat nicht noch die 2 Minuten zur Beantwortung meiner kurzen Frage Zeit gehabt. […]
Ein Telegramm lädt uns nach Kalifornien ein. Jetzt, wo es zu spät ist. Doch ich ging mit dem Telegramm zum Konsulat. Stundenlang stand ich wieder in Kälte und Nässe. 5 Stunden habe ich gestanden, ohne einen Bissen gegessen zu haben. Im Erdgeschoß des Konsulats befindet sich wohl der Wertheimsche Teeraum, doch das übliche Schild: Juden unerwünscht!, sagt uns deutlich genug, daß wir hier nicht einmal eine Tasse Tee verabreicht bekommen. Endlich bin ich im Konsulat an der Reihe. Besuchsvisum für Amerika, ausgeschlossen. Bescheinigung, daß wir das Affidavit eingereicht haben, nicht zu erhalten. […]
Stundenlang warte ich auf der Auswandererberatungsstelle, um eine Bescheinigung für die Ausstellung eines Passes zu bekommen. „Ein Paß kann nur ausgestellt werden, wenn Sie einen ganz bestimmten Ausreisetermin angeben können”, und das kann ich nicht. Ich bespreche mit Freunden, was ich tun soll. Buchen, irgendwohin, rät man mir. Ich telegraphiere in alle Welt. Ich bekomme wilde Angebote. Ein Visum nach Chile für 3000 RM, erhältlich durch einen österreichischen Nazi. So verdienen sie an unserem Unglück. Ich bin völlig verzweifelt. Ich habe ja kein Geld dafür. Ein Patient meines Mannes, der aus England zu einer Konferenz hier ist, schickt mir seine Sekretärin, ob er etwas für mich tun kann. „Rettet mein Kind!” Mehr weiß ich nicht zu sagen. Inzwischen hat man mir auf einem Reisebüro nach stundenlangem Verhandeln eine Buchung nach Kuba für Februar angeboten. Es ist die einzige legale Buchung, die ich noch machen kann. Ich kabele nach Amerika und bitte flehendlichst, das verlangte Vorzeigegeld für Kuba zu deponieren. […]
Endlich habe ich die längst erbetene Wartenummer vom Konsulat erhalten. Nun will ich versuchen, durch die Vermittlung englischer Freunde einen Zwischenaufenthalt in England zu erhalten. Die Kubasache scheint nicht ganz so einfach zu gehen, wie man mir versprach. […]
Es ist unmöglich zu erfahren, wann ungefähr wir nach USA können, und ohne diesen Nachweis bekommen wir das Permit für England nicht. […]
Aber durch ihn haben wir die Bestätigung erhalten, daß nach Mitteilung des amerikanischen Konsulates wir im August 1939 mit der Einreise nach USA rechnen können. Sofort gebe ich diese Nachricht telegraphisch nach England weiter. […]
Das Permit für England ist da! Der Aufenthalt für ein halbes Jahr ist genehmigt. So lange brauchen wir ja gar nicht dort zu sein, da wir ja im August schon nach Amerika weiter können. […]
Mein Kind ist fort! Früh um 6 Uhr haben wir den Jungen zum Schlesischen Bahnhof gebracht zum Kindertransport nach England. Wie erschütternd das war! […]
Nun haben wir unsere Ausreise endgültig festgelegt: Noch knapp 3 Wochen. Niemandem sage ich den genauen Termin. Aber bei vielen, die heute sagen: „Ich sehe Sie doch bestimmt noch einmal”, weiß ich, daß es schon zum letzten Mal ist, daß ich sie nie, nie mehr wiedersehen werde, und daß ich bald lebendig tot für sie sein werde, denn schreiben von draußen, ich kann es nicht, darf es nicht, ich würde sie ja in Gefahr bringen. […]
Es ist vorbei. Um Mitternacht sind wir fortgefahren. Durch den Tiergarten, durch die hellerleuchtete Prachtstraße, in der die Pylonen zu Ehren des Führers glühen, brachte uns das Auto zum Lehrter Bahnhof.
Ich bin nicht mehr gewöhnt, ruhig zu schlafen. Überall lauert Angst und Gefahr, bis ich endlich dieses Land, das meine Heimat war, verlassen habe…
Zum letzten Mal fahr’ ich durch lang vertraute Straßen
Um Mitternacht. Und die Pylonen glühen.
Ein Volk muß jubeln, seinen Führer ehren,
Indess’ wir heimatlos von dannen ziehen.
Mein Herz ist schwer, doch tränenlos mein Auge.
Es starrt ins Weite. Und mit Seherblick
Steht vor mir
-grauenhaft und dunkel
Des Landes Zukunft und des Volks Geschick.
Und Fackeln, Fackeln seh ich glühen
Wild lodernd schon in kurzer Zeit.
Und Menschen, Menschen seh ich ziehen
Und sehe nichts als Krieg und Leid.
Und ahn’ und weiß in dieser Stunde,
Daß Schicksal ewig Rache sinnt.
Wo heute Jubel, Volksbeglückung, –
Der Untergang bereits beginnt.
[…]
Kein Blick geht mehr zurück nach diesem Lande, das mir immer mehr entschwindet, arm, bettelarm, zerrissen an Leib und Seele, so gehe ich in die unbekannte Ferne, voller Sorge um die, die zurückgeblieben, voller Sorge um das eigene Geschick, aber ich bin frei, ich darf schlafen ohne Angst, gehen ohne Gefahr, und ich darf hoffen, hoffen auf Arbeit und Aufbau für mich und mein Kind, in einem freien Lande, dem ich dienen will, wie ich einst der Heimat diente. Ich will mir eine neue Heimat verdienen!
I wonder how many people have spent the night here today? I don’t know. I only know that a large breakfast table was set when I went to the American consulate early in the morning to ask for confirmation that we had already given our affidavit 11The affidavit is a declaration of guarantee with which citizens and organizations in a host country, for example the USA, could help in obtaining entry permits for persecuted persons in Nazi Germany and the territories in August. Countless people stood with me on the cold dark November morning in the damp front yard of the American Consulate. Women, pale, angry, women from Berlin, Leipzig, Breslau, all bear the same suffering, and they remain silent, act silently for their husbands and weep in their hearts- Women’s Crusade! For hours I stand like them in wetness and cold, in rain and snow, and suddenly it occurs to me … More than 6 hours I have stood, and he has not had the 2 minutes to answer my short question. […]
A telegram invites us to California. Now that it is too late. But I went to the consulate with the telegram. For hours I stood again in the cold and wetness. I stood for 5 hours without having eaten a bite. On the ground floor of the consulate there is probably Wertheim’s tea room, but the usual sign: Jews not wanted!, tells us clearly enough that we will not even be given a cup of tea here. Finally, it’s my turn at the consulate. Visit visa for America, excluded. Certificate that we have submitted the affidavit, not to be received. […]
For hours I wait at the emigration advice center to get a certificate for the issuance of a passport. “A passport can only be issued if you can give a very specific date of departure,” and I can’t. I discuss with friends what I should do. Book somewhere, they advise me. I telegraph all over the world. I get wild offers. A visa to Chile for 3000 RM, available through an Austrian Nazi. This is how they earn from our misfortune. I am completely desperate. I have no money for it. One of my husband’s patients, who is here from England for a conference, sends me his secretary to see if he can do something for me.”Save my child!” That’s all I know how to say. In the meantime, after hours of negotiation, I was offered a booking to Cuba for February at a travel agency. It is the only legal booking I can still make. I cable to America and implore them to deposit the requested show money for Cuba. […]
Finally I have received the long requested waiting number from the consulate. Now I will try to obtain an interim stay in England through the mediation of English friends. The Cuba thing does not seem to go quite as easily as I was promised. […]
It is impossible to know approximately when we can go to USA, and without this proof we won’t get the permit for England. […]
Aber durch ihn haben wir die Bestätigung erhalten, daß nach Mitteilung des amerikanischen Konsulates wir im August 1939 mit der Einreise nach USA rechnen können. Sofort gebe ich diese Nachricht telegraphisch nach England weiter. […]
The permit for England is here! The stay for half a year is approved. We don’t need to be there that long, since we can go on to America in August. […]
My child is gone! Early at 6 a.m. we took the boy to the Silesian train station for the children’s transport to England. How upsetting that was! […]
Now we have finally determined our departure: Just under 3 more weeks. I don’t tell anyone the exact date. But with many who say today: “I will surely see you again”, I know that it is already for the last time, that I will never, never see them again, and that I will soon be living dead for them, because writing from the outside, I cannot, must not, I would put them in danger.
It is over. We left at midnight. Through the Tiergarten, through the brightly lit boulevard where the pylons glow in honor of the Führer, the car brought us to the Lehrter station.
I am no longer used to sleeping peacefully. Fear and danger lurk everywhere until I finally leave this country that was my home….
For the last time I drive through long familiar streets
At midnight. And the pylons glow.
A people must rejoice, honor their leader,
While we depart, homeless.
My heart is heavy, but my eye is tearless.
It stares into the distance. And with a visionary look
Stands before me
-gruesome and dark
The country’s future and the people’s fate.
And torches, torches I see glowing
Wildly blazing in a short time.
And people, people I see moving
And see nothing but war and suffering.
And suspect and know in this hour,
That fate will always seek revenge.
Where today rejoicing, people’s happiness, –
The downfall already begins.
[…]
I no longer look back to this country, which is disappearing from me more and more, poor, destitute, torn in body and soul, so I go into the unknown distance, full of worry for those who stayed behind, full of worry for my own fate, but I am free, I may sleep without fear, walk without danger, and I may hope, hope for work and construction for me and my child, in a free country, which I want to serve, as I once served the homeland. I want to earn a new homeland!
Hertha Nathorff, née Einstein (1895-1993) was a German pediatrician, psychotherapist and social worker, she published several works, including a book of poems. She was born in Laupheim (Baden-Württemberg) into a Jewish family. She was related to the physicist Albert Einstein, the musicologist and music critic Alfred Einstein, and the film producer Carl Laemmle. Nathorff attended high school in Ulm and, interrupted by a temporary job as a nurse during World War I, studied medicine in Munich, Heidelberg, Freiburg (Breisgau) and Berlin from 1914. After receiving her doctorate degree in Heidelberg (1920) and years as an assistant in Freiburg, she was a senior physician at the Red Cross Women’s and Children’s Home in Berlin-Lichtenberg from 1923-28, then worked in private practice and simultaneously at the Charlottenburg Hospital as head of the family and marriage counseling center. In the course of National Socialist racial policies, she lost her medical license in the fall of 1938, while her husband, formerly a senior hospital doctor in Berlin-Moabit, was granted a license for exclusively Jewish patients. During this period she worked as his receptionist.
Threatened with death in Nazi Germany, she organized emigration with the help of American relatives from November 1938, sending her 14-year-old son ahead to England on a Kindertransport. In April 1939 the couple managed to leave the country for London, and in early 1940 they continued their journey to New York. In New York she worked as a nurse, maid, bar pianist and kitchen help to support the family. She remained a physician’s assistant in her husband’s practice, which opened in 1942 – she did not have the time to get her degree recognized.
Hertha Nathorff took a very active part in the social life of the German-speaking exile community: she organized courses for emigrants in nursing and infant care and cultural events, was the founder of the Open House for the elderly, chairwoman of the women’s group, and an honorary member of the presidium of the New World Club. In the excerpts from the diary of Hertha Nathorff Berlin-New York Aufzeichnungen 1933 bis 1945, which we show in our archive, the author deals with her initial problems, disappointments and mortifications in the New World. She reports on the everyday life of emigrants, on the struggle for existence, on poverty and mental destruction. Despite her longing for the places of her childhood and youth, she never visited Germany again. She never really settled in America. The homesickness remained constant.
Excerpt from the diary of Hertha Nathorff, edited and introduced by Wolfgang Benz (1987): Das Tagebuch der Hertha Nathorff. Berlin – New York. Aufzeichnungen 1933 bis 1945. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 54. R. Oldenbourg Verlag München, pp. 105, 127-164.
Translation from German to English © Minor Kontor / We Refugees Archive.