K. on her childhood memories of moving from Russia to Germany

K. was eight years old when she moved to Germany from Russia in 2000 with her parents and two older brothers as part of a contingent program for Jewish people. In the following, K. talks about her family’s decision to leave Russia and about her first memories in Germany – from a childhood perspective.

Ich hab das im Sommer 1999 mitbekommen, von einer Großtante bei der ich in dem Sommer zu Besuch war und die dann gefragt hat, ob ich denn schon aufgeregt bin, dass wir umziehen. Und ich war irgendwie so „Ah, ok“, und hab das aber gar nicht so richtig realisiert. Dass es jetzt ein komplett neues Land und neue Sprache und so was ist, das ist mir glaube ich erst so richtig gedämmert, als wir tatsächlich schon hier gelebt haben. Meine Eltern haben glaube ich zwei Jahre auf die Papiere gewartet, das heißt, sie müssten das schon sehr früh angemeldet oder sich dafür entschieden haben. Unter anderem, weil sich die politische Lage angefangen hat zu ändern, weil klar war, dass Putin 11Vladimir Vladimirovič Putin (*1952) ist seit dem Jahr 2000 Präsident Russlands, in einer Unterbrechung dieser Amtszeit von 2008–2012 war er Ministerpräsident. Seine Regierungsform wird oft als „gelenkte Demokratie“ bezeichnet – eine Mischung zwischen Demokratie und Autoritarismus. Politische Gegner*innen werden verfolgt, Menschenrechte massiv eingeschränkt. vermutlich an die Macht kommen würde. Und auch, weil ich zwei ältere Brüder habe, die irgendwann zum Militär 22Der Wehrdienst in Russland ist allgemein als physische und psychische Ausnahmesituation bekannt. Es gibt sogar eine eigene Bezeichnung: Dedowschtschina ist die Bezeichnung für den massiven und teilweise tödlich ausgehenden psychischen und körperlichen Missbrauch junger Soldaten durch ältere Vorgesetzte. gemusst hätten. Das alles hat irgendwie dazu geführt, dass meine Eltern sich dann entschieden haben, dass wir nicht mehr in Russland weiterleben wollen. Aber so richtig mit uns kommuniziert wurde das meiner Meinung nach nicht. […]

Photo from the family’s arrival in Hessen in 2000 © private property of the interviewee

Dann sind wir mit super vielen Freunden von meinen Eltern nach Kaliningrad gefahren, Silvester 99 auf 2000. Das waren bestimmt 30, 40 Leute, die meine Eltern verabschiedet haben. Da haben wir alle zusammen Silvester gefeiert und sind dann von da aus weiter und am 6. Januar in Berlin angekommen. Das zählt für uns sozusagen als der Umzugstag, den feiern wir auch tatsächlich jedes Jahr. Und von Berlin sind wir in das Auffanglager oder Geflüchtetenheim, ich weiß nicht genau, was es war, in Hessen gekommen – wo auch viele Kontingentflüchtlinge gelebt haben. Sobald man die Papiere bekommt, wird man zugewiesen, also man kann sich kein Bundesland aussuchen, und wir wurden eben Hessen zugewiesen und sind da in dieses Lager gekommen. Wir haben in dem Lager ungefähr einen Monat gelebt, wir hatten zwei Zimmer, eins hatten meine Brüder und eins hatte ich mit meinen Eltern. Während des Umzugs bin ich total krank geworden, es hatten uns danach viele Menschen erzählt, dass das häufig eine Reaktion von Kindern ist. Dass Kinder mit so Grippe- und Erkältungssymptomen auf diese Veränderung reagieren können. […]

Ich glaube, ich fand [die erste Zeit] überwiegend aufregend, vor allem, weil wir halt so eine schöne Verabschiedung hatten, weil so viele Leute da waren, dass es sich mehr angefühlt hat wie ein Umzug, weil wir ständig von irgendwelchen Leuten begleitet wurden. Also ich erinnere mich nicht wahnsinnig gut an alles, aber so vom Gefühl war da nichts Negatives. Und so richtig realisiert, dass wir jetzt woanders leben, habe ich nach dem Umzug [von der Unterkunft in eine eigene Wohnung]. Da haben wir in einer relativ kleinen Wohnung zu fünft gelebt und –  wahrscheinlich war es gar nicht so lang, aber gefühlt waren es Monate – haben da auf unseren Winterjacken mit irgendwie Decken, die meine Eltern hatten, geschlafen. Alle zusammen in einem Zimmer, weil wir noch keine Möbel hatten einfach, das hat alles noch ein bisschen gedauert – wir mussten aber von diesem Status schon in die Schule gehen zum Beispiel. Das war für mich so diese erste Umzugserinnerung, dass wir tatsächlich umgezogen sind. […]

Was ich mir vorstellen könnte ist, dass es bestimmt auch Menschen gibt, die tatsächlich ihr Judentum nicht ausleben können oder nicht genug ausleben können, in Russland. Deswegen gehen viele. Als jüdische Person hast du die Wahl aus Russland raus zu kommen, entweder eben nach Deutschland über das Kontingentflüchtlingsprogramm, oder nach Israel zu gehen. 33Das sogenannte Rückkehrgesetz erlaubt es jüdischen Menschen und deren Ehepartner*innen jederzeit nach Israel einzuwandern. Also das machen auch viele, ich glaube die eher religiöseren gehen vermutlich nach Israel, um dort halt so den Wurzeln näher zu sein und in einer Umgebung zu leben, wo sie ganz frei religiös leben können. Und Menschen, die weniger religiös sind, aber denen das Judentum eventuell auch wichtig ist, gehen eben nach Deutschland. Ich hab persönlich gar keine Rassismuserfahrungen im Bezug zum Judentum gehabt, meine Mutter und ihre Geschwister und ihre Eltern wiederum aber schon – und regelmäßig – in Russland. Und da könnt ich mir auch vorstellen, dass das eventuell sogar bewusst bei meiner Mutter, eventuell aber auch unbewusst ein Grund dafür ist; dass man nicht mehr in dem Land leben möchte, wo man halt nicht zur Uni gehen kann, weil man jüdisch ist. Meine Mama hat sich zum Beispiel gar nicht erst beworben für die Uni, in die sie gehen wollte, weil sie von Freunden mitbekommen hat, dass die alle abgelehnt worden sind und dann dachte sie „Ok, wozu mich dann auch bewerben“, und sich das halt irgendwie antun. Ein [jüdischer] Freund von meinem Onkel hat sich beworben und hatte dann bei der Absage den Satz bekommen: „So einen haben wir schon“. Dass das auch ein Grund dafür sein könnte, dass man umziehen möchte, und nicht nur wie ich es aus meiner Perspektive jetzt sehe, weil wir halt ein besseres Leben in Deutschland haben.

Man hat tatsächlich viele Sicherheiten in Deutschland, die man in Russland nicht hat, wie die oft erwähnte Sozialhilfe, auf die man sich verlassen kann, ein gutes Krankensystem, auf das man sich verlassen kann. Dass meine Brüder nicht zum Militär mussten, was halt in Russland nicht bedeutet, dass man einfach nur irgendwie neun Monate woanders lebt und arbeitet, das ist halt – natürlich nicht immer, aber oft – verbunden mit seelischen, psychischen, physischen Qualen, die man im Militär erlebt. Also das ist nichts, was man eben nur mal macht und dann ist es wieder gut. Ja, deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, dass wir in Deutschland ein stabileres und sichereres und besseres Leben haben, als wir in Russland gehabt hätten.

    Footnotes

  • 1Vladimir Vladimirovič Putin (*1952) ist seit dem Jahr 2000 Präsident Russlands, in einer Unterbrechung dieser Amtszeit von 2008–2012 war er Ministerpräsident. Seine Regierungsform wird oft als „gelenkte Demokratie“ bezeichnet – eine Mischung zwischen Demokratie und Autoritarismus. Politische Gegner*innen werden verfolgt, Menschenrechte massiv eingeschränkt.
  • 2Der Wehrdienst in Russland ist allgemein als physische und psychische Ausnahmesituation bekannt. Es gibt sogar eine eigene Bezeichnung: Dedowschtschina ist die Bezeichnung für den massiven und teilweise tödlich ausgehenden psychischen und körperlichen Missbrauch junger Soldaten durch ältere Vorgesetzte.
  • 3Das sogenannte Rückkehrgesetz erlaubt es jüdischen Menschen und deren Ehepartner*innen jederzeit nach Israel einzuwandern.

I overheard it in the summer of 1999, from a great-aunt I was visiting that summer, who then asked if I was excited about moving yet. And I was kind of like, “Ah, okay,” but I didn’t really realize it until we were actually living here, that it was a completely new country and a new language and so on. I think my parents waited two years for the documents, which means they must have registered or decided to leave very early on. Among other things, because the political situation started to change, because it was clear that Putin 11Vladimir Vladimirovič Putin (b. 1952) has been president of Russia since 2000, and he served as prime minister from 2008-2012. His form of government is often referred to as “guided democracy” – a mixture between democracy and authoritarianism. Political opponents are persecuted, and human rights are severely restricted. would probably come to power. Also, because I have two older brothers who would have had to join the military 22Military service in Russia is generally known as a physically and psychologically exceptional situation. This situation even has its own name: Dedovshchina is the term for the massive and sometimes fatal psychological and physical abuse of young soldiers by older superiors. at some point. All this somehow led to the fact that my parents decided that we didn’t want to continue living in Russia. But in my opinion, this was not really communicated to us children. […]

Then we went to Kaliningrad with a lot of my parents’ friends, on New Year’s Eve 99 to 2000. There were probably 30 or 40 people who said goodbye to my parents. We all celebrated New Year’s Eve together and then went on from there and arrived in Berlin on January 6. For us, that counts as our moving day, so to speak, and we actually celebrate it every year. From Berlin we came to the reception camp or refugee shelter, I don’t know exactly what it was, in Hessen. Many contingent refugees were living there. As soon as you get your papers, you are assigned, so you can’t choose a federal state, and we were assigned to Hessen and had to go live in this camp. We lived in the camp for about a month, we had two rooms, one was for my brothers and one was for my parents and me. During the move I became really ill, many people told us afterwards that this is often a reaction of children – that children can react to this change with such symptoms of a flu and a cold. […]

I think I found [the initial period] mostly exciting, especially because we just had such a nice goodbye, because there were so many people, that it felt more like moving, because we were constantly accompanied by people. So I don’t remember everything very well, but I don’t feel like there was anything negative. And realizing that we were living somewhere else now happened after the move [from the camp to our own apartment]. The five of us lived in a relatively small apartment and – it probably wasn’t that long, but it felt like months – we slept on our winter jackets, with blankets that my parents had. All together in one room, because we didn’t have any furniture yet, it all took a little while – but we already had to go to school from this living situation, for example. That was the first memory of moving for me, [realizing] that we actually moved. […]

I can imagine that there are certainly people who actually can’t exercise their Judaism, or can’t exercise it enough, in Russia. That’s why many leave. As a Jewish person, you have the choice to get out of Russia, either to Germany through the contingent program, or to go to Israel [3.The so-called Law of Return allows Jewish people and their spouses to immigrate to Israel at any time.] Many do that, I think the more religious ones probably go to Israel to be closer to their roots and to live in an environment where they can exercise their religion freely. And people who are less religious, but to whom Judaism may also be important, go to Germany. I personally didn’t have any experiences of racism in relation to Judaism, but my mother and her siblings and her parents experienced it – and regularly – in Russia. And I can imagine that for my mother, this may even be a conscious reason, or perhaps an unconscious reason [to leave] – that you no longer want to live in a country where you can’t go to university because you’re Jewish. My mother, for example, didn’t even apply for the university she wanted to go to, because she heard from friends that they had all been rejected, and then she thought, “Okay, why should I apply?” A [Jewish] friend of my uncle’s applied and when he was rejected he was told: “We already have someone like that”. That could also be a reason for wanting to move, and not just as I see it from my perspective now, because we have a better life in Germany.

You actually have a lot of securities in Germany that you don’t have in Russia, like the often mentioned social welfare that you can rely on, a good health care system that you can rely on. The fact that my brothers didn’t have to serve in the military, which in Russia doesn’t mean that you just live and work somewhere else for nine months, [the military] is – not always, of course, but often – connected with mental, psychological and physical tortures that you experience. So it’s not something you just do and then everything is ok. Yes, that’s why I would definitely say that we have a more stable and safer and better life in Germany than we would have had in Russia.

    Footnotes

  • 1Vladimir Vladimirovič Putin (b. 1952) has been president of Russia since 2000, and he served as prime minister from 2008-2012. His form of government is often referred to as “guided democracy” – a mixture between democracy and authoritarianism. Political opponents are persecuted, and human rights are severely restricted.
  • 2Military service in Russia is generally known as a physically and psychologically exceptional situation. This situation even has its own name: Dedovshchina is the term for the massive and sometimes fatal psychological and physical abuse of young soldiers by older superiors.

K. was eight years old when she moved to Germany from Russia in 2000 with her parents and two older brothers as part of a contingent program for Jewish people. The program was established in 1991 and aimed at accepting Jews from the former Soviet Union in Germany in order to promote Jewish life in Germany. After the end of World War II, anti-Semitic sentiments and the accompanying discrimination against Jews regained a greater foothold in Soviet society. The majority of Jewish institutions and synagogues were closed, while more and more openly anti-Semitic groups were formed, and verbal and physical anti-Semitic motivated attacks increased. While Jewish people were denied an official remembrance of the Shoah, rumors of impending pogroms and mass deportations circulated. Religious Jewish life thus took place mainly in secret. The dissolution of the Soviet Union in 1991 did not mean an end to anti-Semitism in the post-Soviet states, so many Jews took advantage of the relaxed exit regulations and the contingent program set up by Germany to emigrate to Germany or Israel. In the following, K. talks about her family’s decision to leave Russia and about her first memories in Germany – from a childhood perspective.

The interview was conducted, analysed and translated by Johanna Sünnemann as part of a cooperation between Freie Universität Berlin and the We Refugees Archive.

Under the supervision of Prof. Schirin Amir-Moazami, students in the seminar “Narratives of Refugees in the Light of Border Regime Studies” (winter term 2020/21) worked on critical methods of qualitative social research as well as literary and scientific texts on the topic of border regimes.

Border regime studies primarily focus on the political, economic and legal conditions that produce migration and borders as social phenomena in the first place.

In cooperation with the We Refugees Archive, the seminar participants conducted interviews with refugees about their everyday experiences in Germany or wrote articles on the common topics of the seminar and the archive.