Elsbeth Weichmann on German emigrants in Paris

Social Democratic politician Elsbeth Weichmann (1900-1988) describes the network of refugees in Paris in the 1930s and 1940s.

Die deutschen Emigranten, gehetzt und verstört, oft knapp dem Tode entronnen, beherrscht von ihrem eigenen Schicksal, das sie noch nicht begreifen oder verarbeiten konnten, ohne die Kraft, eine neue Umwelt zu sehen, zu hören oder sich gar ihr anzupassen, kamen den meisten der an der eigenen Unruhe leidenden Franzosen wie unheilverkündende Unglücksraben vor. Nur kleine Kreise nahmen sich einiger der Verstörten an. Aus dieser Situation ergaben sich Reibungen, die beide Teile belasteten.

Die erste Welle der Emigration bestand vornehmlich aus Politikern, führenden Staatsmännern und Funktionären der von Hitler verbotenen Parteien, aber auch schlichte Mitglieder dieser Parteien, die sich dem Nazisystem nicht anpassen wollten, waren unter ihnen. Sie bildeten mit der Zeit viele kleine Gruppen, die alle auf ihre Weise versuchten, Widerstand im Nazireich zu organisieren. Ihnen allen gemeinsam war der Glaube an ihre missionarische Aufgabe. Frankreich bedeutete für sie nur ein Versteck, aus dem heraus der Ablauf des Dramas gestört oder gar verwandelt werden konnte.

Besonders in den ersten Jahren der Emigration standen wir in Fühlung mit einigen dieser Gruppen. Der ehrliche Missionsglaube, der Mut und Opfer verlangte, war beeindruckend. Mit der Festigung der autoritären Herrschaft in Deutschland, der steigenden Zahl von Häftlingen in Konzentrationslagern, den sich häufenden Berichten von Folterungen und Ermordungen wurden dann aber alle Versuche, Widerstand in Deutschland zu organisieren, für pragmatisch denkende Menschen fragwürdig. Wenn der Versuch eines Widerstandes bereits in der Weimarer Republik gescheitert war, wie sollte er unter so unwahrscheinlich erschwerten Bedingungen durch einige eingeschmuggelte Druck- und Flugblätter zu einer Oppositionskraft anwachsen? Der Informationsfluß, der aus den Kontakten der Widerstandsgruppen zum Nazireich entstand, war lange Zeit von größerem Wert, bis auch er mit den Jahren immer unzulänglicher wurde. Für uns blieben diese politischen Gruppen Kontakte, die niemals zu Engagements führten.

Eine ganz andere Gruppe von Emigranten, die mit den Jahren immer zahlreicher wurde, waren die meist unpolitischen Juden, die vor Verfolgung, Demütigung, Vernichtung geflohen waren und fassungslos dem Rassenwahnsinn, dem sie plötzlich ausgesetzt waren, gegenüberstanden. Sie kamen aus allen beruflichen und gesellschaftlichen Schichten, waren von einem Kollektivschicksal geprägt, das wiederum in viele Einzelschicksale zerfiel, Schicksale, die für jeden von unvorstellbarer Tragik waren, weil sie nicht nur materiell und existentiell bewältigt werden mußten. Bis heute ist die Begegnung mit dem brutalen Ausrottungswillen der Nazis von den meisten der Betroffenen kaum verarbeitet worden. Er belastet Juden und Deutsche noch immer.

Unter diesen jüdischen Emigranten hatten wir viele Verwandte, Freunde und Bekannte. Wir waren oft sehr von ihnen in Anspruch genommen und von den Tragödien, die wir miterleben mußten, mitgenommen. Aber die seelische Belastung, die sie brachten, stärkte auch unseren Willen, aus dem Weltbild der nackten Verzweiflung herauszufinden in eine Welt des moralischen und rationalen Denkens und Handelns.

Am schwersten hatten Künstler unter dem Emigrantenschicksal zu leiden, die Schriftsteller, Journalisten, Schauspieler, bildenden Künstler, Musiker, denen das Publikum fehlte, das sie verstehen und an dem sie sich entwickeln konnten. Nur ganz wenigen gelang es, in der neuen Umwelt ein Echo zu finden. Schöpferische Kräfte siechten dahin mit kleinen Aufträgen, kräfteverzehrenden Gelegenheitsjobs. Manche verkrochen sich vor äußerer Armseligkeit in eine innere Welt.

Schriftsteller und Journalisten, auch solche mit großen Namen in der Weimarer Republik, die sich einem echten moralischen und geistigen Engagement verpflichtet fühlten und über das Geschehen jenseits der Grenze berichten und aussagen wollten, um die Welt zu warnen und den Geist zu retten, fanden kaum Verleger. Frankreich zog es vor, sich mit dem Unfaßbaren, das drüben geschehen war, nicht auseinanderzusetzen, weil es aus dem Weltbild der Franzosen heraus nicht vorstellbar war. Uns ging es damals ähnlich, als wir Hitlers “Mein Kampf” nicht zu Ende lasen und die Realität nicht erkannten, mit der man sich hätte auseinandersetzen müssen, um sie zu beherrschen. Stumm bleiben zu müssen und die schrecklichen Erfahrungen, die man gemacht hatte, nicht weitergeben zu dürfen, war ein schweres Schicksal.

Es gelang einigen wenigen, Zeitungen und Zeitschriften herauszubringen, die im wesentlichen von deutschen Lesern lebten. Georg Bernhard, der bekannte Chefredakteur der “Vossischen Zeitung”, gründete das “Pariser Tageblatt”, das bis zum Kriege bestand und manchem deutschen Journalisten Raum gab. Auch Leopold Schwarzschilds “Neues Tagebuch” war ein geachtetes Blatt, das die alten liberalen Traditionen fortsetzte. Es gab auch eine Reihe kleiner Korrespondenzblätter, die mühselig, meist im Ein-Mann-Betrieb, ihr Leben fristeten. Aber all das konnte den vielen begabten Schriftstellern und Journalisten keine Existenz und auch keine größere Befriedigung bringen. Unter den Intellektuellen und Künstlern gab es viele zerbrochene Existenzen und die meisten Selbstmorde.

Die Schicksale dieser Emigranten und die Kontakte zu ihnen wurden ein Teil unseres Pariser Lebens. Man traf sich meist in Cafés, in der “Coupole”, in “Les deux Magots”, und sprach über den moralischen und materiellen Trümmerhaufen, in dem man leben mußte. Jeder hatte andere Selbsterhaltungs- oder Selbstzerstörungskräfte, jeder durchlebte eine individuelle menschliche Tragödie, die Tragödie moralischer Kampfbereitschaft, der die Welt den Kampf nicht erlaubte.

Der tägliche Umgang mit Emigranten und Emigrationsschicksalen schuf neue Dimensionen menschlicher Beziehungen. Zunächst bewirkte der Kameradschaftsgeist einer Notgemeinschaft eine stärkere Unmittelbarkeit der Kontakte zu anderen, eine größere Zuverlässigkeit der freundschaftlichen Hilfe, menschlicher Wärme und des geduldigen Rats. Die deutsche Emigration brachte aber noch andere Akzente in diese Notgemeinschaft der Verfolgten und Verwundeten: Alle hatten ihre Standeskleidung, ihre Ruhmeskränze und ihre Besitzpodeste verloren, alle besaßen nichts mehr als den nackten Mut, weiterzuleben. Die menschliche Substanz eines jeden mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen war leicht erfaßbar. Man erkannte unschwer Kraft und Schwächen und erwarb so eine ungeahnte Kenntnis von Menschen, zu denen man Mitleid und Toleranz entwickelte.

Das Leben mit und in der Emigration eröffnete auch zwangsläufig Einblicke in viele Länder der Welt und andere Kontinente. Freunde und Freunde von Freunden saßen in Skandinavien und England, in den USA, Kanada und den südamerikanischen Staaten, in Neuseeland und Australien. Man wurde über Lebensverhältnisse, politische Zustände, die Schwierigkeiten der Anpassung und der Existenzmöglichkeiten informiert. Die Welt, in der wir lebten, wurde immer größer und immer durchschaubarer dank der harten Erfahrungen von der Basis her, viel durchschaubarer vielleicht, als das die heutigen Reisewellen vermögen.

Die Emigranten-Notgemeinschaft wuchs auf diese Weise mit den Jahren zu einer Weltgemeinschaft und entwickelte ein Weltwissen, das aus vielen von uns Weltbürger machte.

In dieser Notgemeinschaft, aber auch außerhalb von ihr, suchten und fanden wir auch Menschen, die denkend, aber nur sparsam redend, die Zeit, die Ereignisse, das Gastland verstehen wollten. Zusammen mit ihnen konnten wir denken, abwägen und versuchen, die Zeichen zu erkennen, die diese Zeit prägten.

Wir fanden gute Partner, zuerst unter deutschen Emigranten, später auch unter Franzosen, echte Freundschaften, die viele Jahre unser Leben begleiteten.

The German emigrants, hounded and disturbed, who had often narrowly escaped death, dominated by their own fate, which they could not yet comprehend or process without the strength to see, hear or even adapt to a new environment, seemed to most of the French, who were suffering from their own restlessness, like ominous unlucky people. Only small circles took care of some of the disturbed ones. Frictions arose from this situation that burdened both parts.

The first wave of emigration consisted primarily of politicians, leading statesmen and functionaries of parties banned by Hitler, but there were also plain members of these parties who did not want to adapt to the Nazi system. Over time, they formed many small groups, all of which tried in their own way to organize resistance in the Nazi empire. What they all had in common was their belief in their missionary task. For them, France meant only a hiding place from which the course of the drama could be disturbed or even transformed.

Especially in the first years of emigration we were in contact with some of these groups. The honest missionary faith, which required courage and sacrifice, was impressive. With the consolidation of authoritarian rule in Germany, the increasing number of prisoners in concentration camps, the accumulating reports of torture and murder, however, all attempts to organize resistance in Germany then became questionable for pragmatically-thinking people. If the attempt to organize resistance had already failed during the Weimar Republic, how could it grow into an opposition force under such incredibly difficult conditions, by way of a few smuggled prints and leaflets? The flow of information that resulted from the contacts of resistance groups with the Nazi Reich was of greater value for a long time, until it too became increasingly inadequate over the years. For us, these political groups remained contacts that never led to engagements.

A quite different group of emigrants, which grew in number over the years, were the mostly apolitical Jews who had fled persecution, humiliation, extermination, and were stunned by the racial madness to which they were suddenly exposed. They came from all professional and social strata, were marked by a collective fate, which in turn broke up into many individual fates, fates that were of unimaginable tragedy for everyone, because they had to be overcome not only materially and existentially. To this day, most of those affected have hardly come to terms with the Nazis’ brutal will to exterminate. It still weighs heavily on Jews and Germans.

Among these Jewish emigrants we had many relatives, friends and acquaintances. We were often very much taken up by them and carried away by the tragedies we had to witness. But the emotional burden they brought also strengthened our will to find our way out of the worldview of naked despair into a world of moral and rational thinking and acting.

The artists who suffered most from the fate of emigrants were the writers, journalists, actors, visual artists, musicians, who lacked an audience they could understand and through with they could grow. Only very few of them were able to find an echo in the new environment. Creative forces are languishing with small jobs, energy-consuming odd jobs. Some crept away from outer misery into an inner world.

Writers and journalists, even those with big names in the Weimar Republic, who felt a genuine moral and spiritual commitment and wanted to report and testify about the events on the other side of the border to warn the world and save the spirit, found hardly any publishers. France preferred not to deal with the incomprehensible that had happened over there, because it was not conceivable from the French worldview. It was the same for us at that time, when we did not read Hitler’s “Mein Kampf” to the end and did not recognize the reality that one would have had to deal with in order to control it. Having to remain silent and not being allowed to pass on the terrible experiences one had had was a heavy fate.

A few succeeded in bringing out newspapers and magazines, which lived essentially from German readers. Georg Bernhard, the well-known chief editor of the “Vossische Zeitung,” founded the “Pariser Tageblatt,” which existed until the war and gave space to many a German journalist. Leopold Schwarzschild’s “Neues Tagebuch” was also a respected paper that continued the old liberal traditions. There were also a number of small correspondence papers that laboriously eked out a living, mostly as one-man enterprises. But all this could not bring the many talented writers and journalists any livelihood or greater satisfaction. Among the intellectuals and artists, there were many shattered lives and most suicides.

The fates of these emigrants and the contacts with them became a part of our Parisian life. People usually met in cafés, in the “Coupole,” in “Les deux Magots,” and talked about the moral and material ruin in which one had to live. Everyone had different powers of self-preservation or self-destruction, everyone lived through an individual human tragedy, the tragedy of moral combat readiness, which the world did not allow to fight.

The daily dealings with emigrants and emigration fates created new dimensions of human relationships. At first, the comradeship of an emergency community brought about a greater immediacy of contacts with others, a greater reliability of friendly help, human warmth and patient advice. But German emigration brought other accents to this emergency community of the persecuted and wounded: All of them had lost their civic dress, their wreaths of fame and their pedestals of possession; all of them possessed nothing more than the naked courage to go on living. The human substance of each one, with all its possibilities and limitations, was easy to grasp. It was not difficult to recognize strengths and weaknesses, and thus one acquired an undreamt-of knowledge of people with whom one developed compassion and tolerance.

Living with and in emigration also inevitably opened up insights into many countries of the world and other continents. Friends and friends of friends sat in Scandinavia and England, in the USA, Canada and the South American states, in New Zealand and Australia. One was informed about living conditions, political conditions, the difficulties of adaptation and the possibilities of existence. The world we lived in became bigger and bigger and more and more transparent thanks to the hard experiences from the base, much more transparent perhaps than the waves of travel today.

In this way, the emigrant emergency community grew over the years into a world community and developed a world knowledge that made many of us world citizens.

In this emergency community, but also outside of it, we searched and found people who, thinking but speaking sparingly, wanted to understand the time, the events, the host country. Together with them we could think, weigh and try to recognize the signs that marked this time.

We found good partners, first among German emigrants, later also among French, true friendships that accompanied our lives for many years.

Elsbeth Weichmann (1900-1988) was a social democratic politician. She grew up as the daughter of Protestant parents in Moravia (now the Czech Republic). Because of the Jewish origin of her husband, Herbert Weichmann, the couple fled from Berlin via Prague to Paris in 1933. There, Elsbeth first supported her husband in his work as a correspondent for the German-language newspaper Prager Tageblatt, and later both wrote for the French-language newspapers Le Troc and Europe Nouvelle.

Like many other emigrants from Germany, Elsbeth Weichmann was interned in 1940, first in the Paris Vélodrome d’Hiver and then in the Gurs camp, from which she was able to escape. In the face of the German occupation of France, she fled with her husband to southern France, from where they made their way on foot across the Pyrenees to Spain, and on to Portugal. From there they reached the USA. Only three years after the end of the war Herbert and later also Elsbeth returned to Germany. In Hamburg, Herbert Weichmann became the only Jewish First Mayor to date, while Elsbeth Weichmann devoted herself to various forms of social activism: she stood up for consumer protection and women’s rights and was active in cultural politics until her death in 1988.

In this excerpt from her memoirs published in 1983 Refuge.Years of Exile, Elsbeth Weichmann writes in retrospect about the refugees who lived in Paris and who congregated there: political opponents who tried to form resistance in Nazi Germany out of emigration; Jews who were “stunned” by Nazi persecution; artists and journalists whose professional situation in France was particularly precarious because they had been deprived of their language and their audience.

Weichmann describes the encounter with French society as difficult at first. The refugees, disturbed by their experiences in Germany and their flight, found it difficult to adapt to the new environment. The French did not deal with the situation in Germany enough, “because it was not imaginable from the French worldview.” However, due to their common fate, the refugees congregated, strengthened each other and formed an “emergency community” that extended beyond national borders. Contact with other emigrants became an indispensable part of Weichmann’s daily life in Paris.

Weichmann, Elsbeth, 1983: Zuflucht. Jahre des Exils, Hamburg 1983, pp. 49-54.

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