The Austrian writer Joseph Roth (1894-1939) did not wait long and left Berlin shortly after Hitler’s seizure of power. By February 1933, he was already in Paris – a city to which he had felt close since the 1920s. He practically fled home. But the state of refugeedom caused him just as much trouble as the general misery of the world. In his correspondence with the Austrian writer and longtime friend Stefan Zweig (1881-1942), he meditates on German-Jewish identity in the face of National Socialism.
An Stefan Zweig
Hotel Foyot
Paris
22. III. 1933.
Sehr verehrter lieber Freund, ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben Brief. Der Tag, an dem ich Sie wieder sehen werde, wird mir ein wahres Fest sein. Ich nenne Sie längst im Stillen, für mich, den “Weisen vom Kapuzinerberg”. In solchen Zeiten soll man mit Ihnen sprechen, nicht nur korrespondieren. Es ist dabei ganz gleichgültig, daß ich Ihnen in vielen Punkten widersprechen muß, Diskurs mit einem Weisen, der nie ohne Widerreden geführt werden kann. Sie sprechen von Sich aus und für Sich: das Schicksal hat Ihnen Leid, Freude, Erfolg, Ruhm und 50 Jahre geschenkt, eine glückliche Jugend im Frieden und eine frische, gerüstete Männlichkeit. Verzeichen Sie einem Freunde, der Ihnen es sagt: es gilt nicht für alle Welt, die heutzutage leidet. Nicht von mir sei hier die Rede, dessen Schicksal Sie ziemlich genau kennen. Ich spreche so ziemlich, glaube ich, für eine Welt, eine gute Welt, für eine bewährte Welt. Es ist vorerst in den letzten Jahren nicht den meisten, sondern den wenigsten Schriftstellern gut gegangen – und auch das ist relativ zu sehen. Es ist in einer Zeit, in der es keine Woolworth-Magazine gegeben hat, Lessing und Wieland mit geringem Einkommen besser gegangen, als – nehmen wir: Arnold Zweig im Zeitalter des Tietz. 11bezogen auf Oskar Tietz (1858–1923), der das Hertie Waren- und Kaufhaus gründete. Sie haben ein paar junge Schriftsteller, ohne Sorgen, ohne schweres privates Schicksal vor Augen, die mit relativ hohen Honoraren leichtsinnig gelebt hat, aber (auch sie) keineswegs von Sorgen frei. Und, was die Juden betrifft: so ist dieses Volk erstens in Auflösung begriffen (dank Rußland) und wir in 50–100 Jahren nicht mehr vorhanden sein. Zweitens: sind die heutigen Juden – weil sie seit 200 Jahren nicht mehr in ihrer geistigen Heimat leben, gar nicht mehr imstande, physiologisch nicht, die Leiden ihrer Ahnen zu ertragen. Haben Sie Talmud gelernt? Beten Sie jeden Tag zu Jehovah? Legen Sie Tefilim? Nein, es ist vorbei – und man trägt eben mitten im Deutschtum als ein Deutscher das Erbe, das von allen andern Völkern der gesitteten Erde, wen nicht immer freudig angenommen, so doch zumindest nicht mit dem Gummiknüppel bestraft wird. Im Übrigen: so weise Sie daran tun, jetzt keine repräsentativen Vorträge zu halten: Sie werden sich darüber klar sein, daß ein Widerspruch ist zwischen der durchaus legitimen Haltung eines Europäers, die Sie Zeit Ihres Lebens als ein deutscher Schriftsteller von Rang und Gnaden gegen Bestialität eingenommen haben und der spontanen Besinnung auf die Pflicht zu Schweigen und Leiden, die vielleicht, ja, sicher Ihren Ahnen angestanden hat, aber nicht mehr Ihnen, das freiwillige, meine ich natürlich. Man konnte das 6000jährige jüdische Erbe nicht verleugnen; aber ebensowenig kann man das 2000jährige nicht jüdische verleugnen. Wir kommen eher aus der “Emanzipation”, aus der Humanität, aus dem “Humanismus” überhaupt, als aus Ägypten. Unsere Ahnen sind Goethe Lessing Herder nicht minder als Abraham Isaac und Jacob. Im Übrigen werden wir nicht mehr, wie unsere Vorfahren von frommen Christen geschlagen, sondern von Gottlosen Heiden. Hier geht es nicht gegen Juden allein. Obwohl sie, wie immer, das schärfste Geschrei erheben. Hier geht es gegen die europäische Zivilisation, gegen die Humanität, deren Vorkämpfer Sie mit Recht und Stolz sind. (Und gegen Gott)
Und das Praktische:
1.) Es ist bereits so weit (nur unter uns) – die Juden Landshoff und Landauer können den Verlag K. 22Kiepenheuer. nicht mehr halten.
2.) Landauer selbst ist in Wien, hat mit Zsolnay gesprochen und dieser hat kein Geld, mich zu kaufen.
3.) Ich habe meinen Vorschuß von 35.000 auf 10.000 Mark herunter gebracht; für einen Autor mit meinem Erfolg eigentlich nicht viel. Trotzdem findet sich kein “Abnehmer”.
4.) Bis auf 4000 Mark und der Summer, dich ich Ihnen schulde, sind alle meine Schulden bezahlt.
5.) Wenn mich nun auch Fischer nicht nimmt, hänge ich in der Luft.
Und nun für Sie:
Es nicht richtig, daß Sie auch für den Fall einer Gefahr bleiben wollen. “Es steht geschrieben”, daß der Mensch, der sich freiwillig in Gefahr begibt, eine Sünde begeht. Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Nur für Gott darf man sich in Gefahr begeben. Man darf auch nicht im Voraus zu wissen wagen, ob oder daß das Schicksal Einen ereilen wird. Aus einem brennenden haus muß man laufen und wenn draußen dann ein Unfall den Flüchtigen tötet, so ist es erst dann Gottes Wille.
Ich weiß, daß Sie wissen, was ich meine und wie sehr ich um Sie, körperlich und anders, besorgt bin.
Grüßen Sie herzlich Ihre Frau.
Ihr alter Freund
Joseph Roth
Footnotes
1bezogen auf Oskar Tietz (1858–1923), der das Hertie Waren- und Kaufhaus gründete.
Thank you for your kind letter. The day I next clap eyes on you will be a red-letter day. I think of you to myself as “The Wise Man of the Kapuzinerberg.” In such times, I have to talk to you, not just correspond. Never mind that I have to contradict you in many things. Discussions with a wise man are never without contradiction. You speak for and from yourself: fate has given you sorrow, happiness, fame, success, and 50 years, a happy youth in peacetime, and a vigorous maturity. 11See Zweig’s autobiography, The World of Yesterday (1942). Forgive a friend for pointing out that that’s not the universal lot. You know my lot pretty well, but I’m not talking about myself. I’m speaking, rather, for a world, a good world, a tried and tested world. Of late, it’s not the majority of writers who have fared well, but rather a minority—and that, only in relative terms. In a time that had no Woolworth magazines, Lessing and Wieland fared much better on small incomes than—well, let’s say Arnold Zweig in the time of Tietz. 22Tietz: Oskar Tietz (1858–1923), founder of the first German supermarket chain. You have in mind a couple of youngish authors, without worries, without grave private fate before them, living on relatively high royalties quite frivolously, though (even they are) not entirely without worries. And, as far as the Jews are concerned, firstly they are facing their dissolution (thanks to Russia), and will no longer exist in 50 years’ time. Secondly, today’s Jews, not having lived in their spiritual home for 200 years, are no longer capable, physiologically speaking, of enduring the torments of their ancestors. Did you learn the Talmud? Do you pray every day to Jehovah? Do you lay tefillin? No, it’s over, and you and I are Germans in the midst of Germans, with a strange inheritance that other peoples in the civilized world react to, if not with joy, then at least without a rubber truncheon. And for your information, however sensible it is of you not to be going out giving lectures at this moment in time: you will understand that there is a conflict between your legitimate expectations as a European, which you have always voiced as an important and gifted German author against bestiality, and the spontaneous recognition of your duty to suffer and be silent, which your forebears will certainly have felt, though not yourself, not freely anyway. One can’t repudiate a 6,000-year-old Jewish inheritance; but it’s almost as hard to repudiate a 2,000-year-old non-Jewish inheritance. We come from “emancipation,” from humanity, from the humane tout court, rather more than we come out of Egypt. Our forefathers are Goethe Lessing Herder as much as they are Abraham Isaac and Jacob. And anyway, we are not being beaten, as our ancestors were, by devout Christians, but rather by godless heathens. The Jews are not the only ones they are out to get. Even though they—as ever—are the ones that raise the most piteous lament. The onslaught this time is against European civilization, against humanity, whose proud champion you are. (And against God.)
And the practicalities:
1. The time has come (entre nous)—the Jews Landshoff and Landauer are unable to keep the publisher K. 33K.: Kiepenheuer. afloat any longer.
2. Landauer is in Vienna, and has spoken to Zsolnay, who doesn’t have any money to buy me with.
3. I’ve cut my advance from 35,000 to 10,000 marks; not all that much really for an author as successful as me. But there are no takers.
4. Aside from 4,000 marks and what I owe you, all my debts have been paid.
5. If Fischer doesn’t take me now, I’ll be left hanging. And now, for you.
It’s not right that you want to stay even if things get dangerous. “It is written,” that the man who willingly courts danger is committing a sin. Life is a gift from God. One may risk danger only for the sake of God. Nor may one seek to know in advance where or how danger may choose to strike. One has to flee a burning house, and if a tree should fall on top of you, then that is God’s will.
I know you understand what I mean, and how concerned I am for your welfare, physical and other.
My best wishes to your wife.
Your old friend
Joseph Roth
Footnotes
1See Zweig’s autobiography, The World of Yesterday (1942).
2Tietz: Oskar Tietz (1858–1923), founder of the first German supermarket chain.
Joseph Roth is considered one of the most famous journalists of the 1920s, a precise chronicler, successful novelist and committed opponent of National Socialism. His literary and journalistic work consists of newspaper articles, glosses, travel reports, feature articles, novels and short stories.
Roth grew up in Brody in eastern Galicia, studied in Lemberg and Vienna, was a soldier in World War I and experienced the collapse of the Habsburg Empire – his home country. Nostalgia for this multi-ethnic empire haunted the rest of his life and many of his novels are dedicated to the loss of homeland and the experience of uprooting. From 1919 he worked as a journalist for various Viennese, Berlin and Prague newspapers and magazines as well as for the Frankfurter Zeitung.
As a Jew, Roth was no longer allowed to publish there after 1933. He left Germany for good and continued his commitment against the National Socialism in his Parisian exile. He was involved in aiding refugees, for example for Entre’ Aide Autrichienne, and cultivated close ties with fellow refugees, including Stefan Zweig (1881-1942), to whom the cited letter was addressed, Ernst Toller (1893-1939), Egon Erwin Kisch (1885-1948), Soma Morgenstern (1890-1976) and Irmgard Keun (1905-1982). Most of the time he lived in hotels in Paris. Café Le Tournon became Roth’s main place of residence, where he gathered his “entourage” around him. Suffering from a severe alcohol addiction, his last years were clearly impacted by the political circumstances and the experiences of refugeedom. He did not live to see the Second World War; he died on May 27, 1939, in the Hôpital Necker, a hospital for the poor in Paris. 11https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/roth-joseph.html
In Roth’s letter to Stefan Zweig from March 22, 1933, he deals with German-Jewish identity in face of the National Socialist rule: This is primarily about ideals of “European civilization” and “humanity”, but also about very concrete material concerns as a Jewish publicist and the question of emigration.