İsa Artar on his political and journalistic activism in Turkey
İsa Artar was politically active in Turkey, among other things with the Gezi protests and as editor-in-chief of a critical online platform. When, after the failed coup d’état attempt in 2016, state pressure on opposition members and especially journalists grew, he too came under police surveillance. In December 2016 he managed to escape to Germany, where he was granted asylum.
“Also, ich bin in Mersin in der Türkei geboren, das ist im Süden der Türkei, neben Antalya, auch am Mittelmeer. Ich bin in die Schule dorthin gegangen und habe dann auch das Gymnasium da besucht. Und dann bin ich für die Uni nach Istanbul gegangen. Und ich war auch schon als Gymnasialschüler politisch engagiert, zwecks Schülerprobleme und so weiter. Wir hatten damals ein militärisches System, das ist immer noch so in der Schule glaube ich: Wir sind da gekommen wie Soldaten und es gab Befehle und wir sangen zusammen die Nationalhyme, blabla. Wir waren immer dagegen, und auch gegen diese Uniformpflicht usw. […]
Dann bin ich an die Uni gegangen. Da war ich auch weiter politisch engagiert. Wir hatten eine studentische Gewerkschaft […] aber das war auch gesetzlich verboten, weil es nicht eine Arbeitergewerkschaft ist. Und in der Türkei ist die Gewerkschaftssache, nicht wie hier. Hier ist das wie ein Verein: Jeder kann Mitglied werden. Aber in der Türkei kannst du nur Mitglied werden, wenn du wirklich unbefristet arbeitest. Als freiberuflicher Journalist zum Beispiel kann man nicht bei einer journalistischen Gewerkschaft Mitglied werden. Als Student überhaupt nicht. Sie haben das geschlossen, aber wir hatten das. Das war eigentlich gut. Wir hatten ein Hochschulrat in der Türkei. Wir wollten das nicht. Das wurde nach dem Putsch 1980 gegründet. Und wir haben immer gesagt: Die Unis müssen autonom sein. Wir waren grundsätzlich gegen den Hochschulrat demonstriert., also in der Türkei. Wir haben viele Demos gemacht und so weiter. Der Hochschulrat ist zentral für alle Unis und wird vom Präsidenten gewählt. […] Voll undemokratisch. 11Der Hochschulrat (Yükseköğretim Kurulu, abgekürzt YÖK) wurde 1981, nach dem Militärputsch von 1980, in der Türkei als zentrales staatliche Kontrollgremium türkischer Hochschulen gegründet. Dadurch wurde die Autonomie der Universitäten abgeschafft. Der Hochschschulrat ernennt Dekane und triffte Entscheidungen über den Lehrplan, den Haushalt und die Aufnahme von Studierenden.
Und kennst du diese Gezi-Park-Proteste in der Türkei? 222013 begann im Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul eine breite Protestbewegung gegen die Regierung Recep Tayyip Erdoğans. Die ursprünglich gegen ein geplantes Bauprojekt gerichteten Demonstrationen entwickelten sich zu einer vielfältigen zivilgesellschaftlichen und wirkungsvollen Bewegung, die auch international viel Unterstützung erfuhr und sich über Istanbul hinaus ausbreitete. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstrationen vor, dabei kamen auch einige Menschen ums Leben. Ja, ich war auch dabei. Also ab Anfang bis Ende eigentlich. Das war auch ein schönes Gefühl, dass man bei diesem historischen Ereignisse dabei war. Ich habe alles da gesehen. Und ich hatte immer, als ich jung war, das Ziel, nach Istanbul zu gehen: Das ist eine Metropole, am Taksim-Platz etwas unternehmen und diese historischen Ereignisse sehen, das erste Mal protestieren in Istanbul bei den Gezi-Park-Protesten. Wir hatten immer das Gefühl, dass alles irgendwie gut wird. Aber das war nicht so. […] Davor hieß Demonstrieren nicht, dass man automatisch in den Knast geht. Danach schon. Danach wurde es schwierig, auf die Straße zu gehen.
Ich habe dann an der Uni bei einem kleinen Magazin mitgemacht. Nach den Gezi-Protesten waren diese unabhängigen, kleinen Nachrichtenportale sehr groß. Und dann war ich auch bei einer dabei. Das waren politische Nachrichten. Und da war ich danach Chefredakteur. Ich habe mich verbessert. Also habe ich dann viele Interviews mit Künstler, mit Abgeordneten und so weiter gemacht. Drei Tage in der Woche war ich am Computer für Redaktion, Edition und so weiter.
Ich habe niemals gedacht, dass es wegen dieses Nachrichtenportals gegen mich ein Verfahren geben kann. Aber es ist passiert.
[…] und wir hatten immer so komische Strukturen. Es gab den Inhaber und ich war der Chefredakteur. Und der Inhaber hatte eigentlich keinen Einfluss auf die Nachrichten. Aber nach dem Putschversuch, also 2016, wurde er vom Staat, also von der Polizei gerufen. 33Nach dem gescheiterten Militärputsch gegen Recep Tayyip Erdoğan im Juli 2016 kam es in der Türkei zu massenhaften Entlassungen im Militär und im öffentlichen Dienst. Die staatliche Verfolgung von Oppositionellen und Regierungskritiker*innen, insbesondere Journalist*innen hat seitdem stark zugenommen. Und das war eigentlich in der Türkei eine lustige Sache: Sie rufen jemanden zur Polizei. Und sie kommen nicht nach Hause. Das ist, als ob das nicht so eine große Sache ist. Du gehst hin, du machst deine Aussage, dann gehst du raus. Und wir haben noch so telefoniert: Also er geht hin. Er macht diese Aussage, fertig. Aber damals haben wir uns auch gedacht: Warum haben sie mich nicht gerufen? […]
Dann hat der Staatsanwalt entschieden, dass er, der Inhaber, in den Knast geht, also Haftbefehl. Aber am Ende vor dem Jurist war klar: Eigentlich sind alle Vorwürfe gegen ihn über mich: was ich geteilt habe, was ich geschrieben habe, meine Fotos, was ich in den kurdischen Gebieten gemacht habe, und so weiter. Er hat nichts gemacht, er hat keinen Einfluss. Sie haben ihm trotzdem eine Ausgangssperre gegeben. Das war im Oktober.
Dann haben sie haben mir gesagt: Alle Sachen waren über dich. Deswegen wäre es gut, wenn du nicht so rumläufst. Und da hatte ich eine Freundin aus Deutschland. Sie war im Erasmus in der Türkei, wir haben uns da kennengelernt. Und wir haben dann darüber gesprochen, wie wir das machen können. Ich hatte niemals einen Gedanken, dass ich irgendwie nach Deutschland komme, hier lebe. Und irgendwie hatte ich so wenig Zeit. […]
Ich war im Dezember in Berlin in der Stadt. Ich bin gekommen. Ich habe es geschafft und dann haben meine Freundin und ich erstmal geheiratet. Aber ich hatte immer Hoffnung, dass nicht so viel passiert: Vielleicht kann ich bald zurückreisen. Dann aber haben sie mich im Februar gerufen und einen Haftbefehl ausgegeben. Und ich konnte nichts mehr beim Konsulat machen. Das heißt, ich konnte nicht mal Reisepass beantragen. Und dann musste ich mich auf Asyl bewerben.”
Footnotes
1Der Hochschulrat (Yükseköğretim Kurulu, abgekürzt YÖK) wurde 1981, nach dem Militärputsch von 1980, in der Türkei als zentrales staatliche Kontrollgremium türkischer Hochschulen gegründet. Dadurch wurde die Autonomie der Universitäten abgeschafft. Der Hochschschulrat ernennt Dekane und triffte Entscheidungen über den Lehrplan, den Haushalt und die Aufnahme von Studierenden.
22013 begann im Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul eine breite Protestbewegung gegen die Regierung Recep Tayyip Erdoğans. Die ursprünglich gegen ein geplantes Bauprojekt gerichteten Demonstrationen entwickelten sich zu einer vielfältigen zivilgesellschaftlichen und wirkungsvollen Bewegung, die auch international viel Unterstützung erfuhr und sich über Istanbul hinaus ausbreitete. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstrationen vor, dabei kamen auch einige Menschen ums Leben.
3Nach dem gescheiterten Militärputsch gegen Recep Tayyip Erdoğan im Juli 2016 kam es in der Türkei zu massenhaften Entlassungen im Militär und im öffentlichen Dienst. Die staatliche Verfolgung von Oppositionellen und Regierungskritiker*innen, insbesondere Journalist*innen hat seitdem stark zugenommen.
“Well, I was born in Mersin in Turkey, which is in the south of Turkey, besides Antalya, also on the Mediterranean Sea. I went to school and high school there. And then I went to Istanbul for the university. And I was already politically engaged as a high school student, for the purpose of student problems and so on. We had a military-style system back then, and I think it’s still the same in school: We came there like soldiers and there were orders and we sang the national anthem together, blah, blah. We were always against it, and also against this compulsory uniform etc. […]
Then I went to university. There I continued to be politically active. We had a student union […] but that was also prohibited by law because it is not a workers’ union. And in Turkey, the union thing is not like here. Here it is like an association: Everyone can become a member. But in Turkey you can only become a member if you really work for an unlimited period. As a freelance journalist, for example, you cannot become a member of a journalistic union. As a student not at all. They closed that, but we had that. That was actually good. We have the Council of Higher Education in Turkey. We did not want that. It was founded after the coup in 1980. And we always said: Universities must be autonomous. We were fundamentally against the Council of Higher Education, in other words in Turkey. We made many demos and so on. The Council of Higher Education is the central organ for all universities and is elected by the president. […] Fully undemocratic. 11The Council of Higher Education (Yükseköğretim Kurulu, abbreviated YÖK) was founded in Turkey in 1981, after the military coup of 1980, as the central state control body of Turkish universities. This abolished the autonomy of the universities. The Council of Higher Education appoints deans and makes decisions on the curriculum, budget and admission of students.
And are you familiar with these Gezi Park protests in Turkey? 22In 2013, a broad protest movement against the Recep Tayyip government began in Gezi Park on Taksim Square in Istanbul. The demonstrations, which were originally directed against a planned construction project, developed into a diverse and strong civil society movement, which also received a lot of international support and spread beyond Istanbul. The police took violent action against the demonstrations, and some people were killed. Yes, I was also there. So from beginning to end, actually. It was also a nice feeling to be part of this historic event. I saw everything there. And when I was young I always had the goal of going to Istanbul: This is a metropolis, to do something in Taksim Square and see these historical events, to protest for the first time in Istanbul at the Gezi Park protests. We always had the feeling that everything would somehow be okay. But that was not the case. […] Before that, protesting did not mean automatically going to jail. Afterwards it did. After that it became difficult to go out on the street.
Then I took part in a small magazine at the university. After the Gezi protests, these independent, small news portals were very big. And then I was also taking part in one of them. That was political news. And there I was editor-in-chief afterwards. I improved myself. So then I did a lot of interviews with artists, with members of parliament and so on. Three days a week I was at the computer for editing, edition and so on.
I never thought that there could be a lawsuit against me because of this news portal. But it happened.
[…] and we always had such strange structures. There was the owner and I was the chief editor. And the owner actually had no influence on the content. But after the coup d’état attempt, in 2006, he was called by the state, by the police. 33After the failed military coup d’état against Recep Tayyip Erdoğan in July 2016, there were mass dismissals in the military and public service in Turkey. The state persecution of opposition members and government critics, especially journalists, has increased greatly since then. And that was actually a funny thing in Turkey: They call someone to the police. And they do not come home. That’s as if it’s not such a big deal. You go there, you make your statement, then you go out. And we still talked on the phone like this: So he goes. He makes this statement, done. But back then we also thought: Why didn’t they call me? […]
Then the prosecutor decided that he, the owner, would go to jail, i.e. an arrest warrant. But in the end before the judge it was clear: Actually all the accusations against him are about me: what I shared, what I wrote, my photos, what I did in the Kurdish areas, and so on. He has done nothing, he has no influence. They gave him a curfew anyway. That was in October.
Then they told me: All things were about you. So it would be good if you didn’t walk around like that. And then I had a girlfriend from Germany. She was in Erasmus in Turkey and we met there. And then we talked about how we could do that. I never had a thought that I would somehow come to Germany, live here. And somehow I had so little time. […]
I was in Berlin in December. I came. I made it and then my girlfriend and I got married. But I always had hope that not so much would happen: Maybe I can travel back soon. But then they called me in February and issued an arrest warrant. And I couldn’t do anything more at the consulate. That means I couldn’t even apply for a passport. And then I had to apply for asylum.”
Footnotes
1The Council of Higher Education (Yükseköğretim Kurulu, abbreviated YÖK) was founded in Turkey in 1981, after the military coup of 1980, as the central state control body of Turkish universities. This abolished the autonomy of the universities. The Council of Higher Education appoints deans and makes decisions on the curriculum, budget and admission of students.
2In 2013, a broad protest movement against the Recep Tayyip government began in Gezi Park on Taksim Square in Istanbul. The demonstrations, which were originally directed against a planned construction project, developed into a diverse and strong civil society movement, which also received a lot of international support and spread beyond Istanbul. The police took violent action against the demonstrations, and some people were killed.
3After the failed military coup d’état against Recep Tayyip Erdoğan in July 2016, there were mass dismissals in the military and public service in Turkey. The state persecution of opposition members and government critics, especially journalists, has increased greatly since then.
İsa Artar ran the risk of being arrested because of his political activities and his journalistic work in Turkey. Therefore he fled to Berlin in 2016, was granted asylum and was sentenced in absentia by Turkish courts. He is now studying journalism and communication sciences and writes for the Tagesspiegel, among others.
In the interview that İsa gave to the We Refugees Archive in July 2018, he talks about his political and journalistic activism in Turkey: After he had already been politically active at school and university, İsa became involved in the Gezi protest movement in 2013. 11In 2013, a broad protest movement against the government of Recep Tayyip Erdoğan began in Gezi Park on Taksim Square in Istanbul. The demonstrations, which were originally directed against a planned construction project, developed into a diverse and strong civil society movement, which also received a lot of international support and spread beyond Istanbul. The police took violent action against the demonstrations, and some people were killed in the process. Afterwards, while studying art history, he became editor-in-chief of the independent and critical news portal “Siyasi Haber”. After the failed military coup against Recep Tayyip Erdoğan in July 2016, there were mass dismissals in the military and public service in Turkey. The state persecution of opposition members and government critics, especially journalists, has increased sharply since then. The owner of “Siyasi Haber” was also interrogated and the attention of the police was directed to İsa Artar, who managed to leave the country in December 2016.
Footnotes
1In 2013, a broad protest movement against the government of Recep Tayyip Erdoğan began in Gezi Park on Taksim Square in Istanbul. The demonstrations, which were originally directed against a planned construction project, developed into a diverse and strong civil society movement, which also received a lot of international support and spread beyond Istanbul. The police took violent action against the demonstrations, and some people were killed in the process.
This is an excerpt from an interview that We Refugees Archive conducted with İsa Artar in July 2020.