Letter from Martin Wagner in Istanbul to Ernst May in Tanganyika, Dec. 1935
In his letter to Ernst May from 1935, the former Berlin city planner Martin Wagner, who went to Istanbul exile in 1935, reports on his family’s everyday life in the exile city of Istanbul and evokes the connections to the colleagues of Neues Bauen (New Building), who, after increasing violence, hatred, and wars, he is convinced will come to the fore again.
Istanbul, Kadiköy-Moda, Moda-Köskü, am 2 Dez. 1935
Lieber May, 11Ernst May, 1886-1970, deutscher Architekt und Stadtplaner.
Fast hätte ich Sie schon für tot gehalten. Ihr Brief vom 20 Oktober, der vor 3 Tagen bei mir ankam, zeigt mir aber, dass der alte May im schwarzen Lande noch am Leben ist. Sie werden mir kaum glauben, wie sehr ich mich über Ihren Brief gefreut habe. Den “alten Kämpfern” nahe zu sein, das ist mir eine Herzenssache. Nun, wo ich selbst im Auslande lebe, empfinde ich es doppelt notwendig, dass unsere Generation menschlich, wie berufsmässig zusammenhält, zumal ich die Hoffnung niemals aufgeben werde, dass wir alle wieder in unserem Vaterlande vereint sein und an dem Werk weiterarbeiten werden, von dem man uns mit Gewalt fortgerissen hat. Aus diesem Grunde habe ich mich auch entschlossen, Ihnen gleich zu antworten.
Diese Antwort erhalten Sie nun aus Asien. Jawohl, ich wohne seit etwa 5 Wochen mit meiner Familie in Asien, d.h. auf der asiatischen Seite von Istanbul. Ganz ist die Familie zwar nicht mehr beisammen. Meine älteste Tochter Irmgard hat einen Assistenten von Prof. Höetsch, einen Dr. Schüle geheiratet und lebt zur Zeit in – Moskau! Ist das nicht zum Lachen? Dr. Schüle ist dort der Vertreter des deutschen Nachrichtenbüros, also einer amtlichen Stelle des dritten Reiches. Er wurde es, weil man sonst keine Russlandkenner hatte. Aber auch darüber kann ich nur lachen. Das Leben geht doch seltsame Wege. Dass ich nun im Dez. noch Grossvater werden soll, bringt mich nun vollends zu einem Lachkrampf.
Glücklich bin ich aber doch darüber, dass ich nach 6 Monaten einsamen Junggesellenlebens nun wieder meine Frau und die beiden “Kleinsten” bei mir habe. Mein Junge hatte noch in Deutschland das Arbeitslager absolviert, um das Ingenieurfach studieren zu können. Stambul hat ihn aber so gepackt, dass er sich plötzlich entschlossen hat, Architekt zu werden. Es macht mir nun grossen Spass, ihm die ersten Kenntnisse in seinem Fach selbst beibringen zu können.
Meine jüngste Tochter Sabine besucht hier eine amerikanische Schule, auf der sie sich im Englischen verbessern will. Sie wird nun auch schon 19 Jahre alt und hat sich hier recht viele Freunde erworben.
Meine Frau steht natürlich über dem Ganzen und trägt die Entwurzelung aus der Heimat mit der grössten Bravour. Nachdem wir hier eine ganz moderne Wohnung im Mietshaus bezogen haben, konnten wir wenigstens unsere Heimat zwischen vier Wänden finden.
Nach halbjährigen Verhandlungen habe ich mit der Stadt Istanbul einen 2 jährigen Vertrag abgeschlossen, der mich materiell ganz gut stellt. Ich bin zwar nur städtebaulicher Berater der Stadt, habe aber die Freiheit, auch für andere Städte arbeiten zu können. Mein Gehalt ist aber so, dass ich darauf nicht angewiesen bin. Den Generalplan von Istanbul habe ich aber nicht bekommen. Aus dem Zank zwischen Jansen und Ehlgötz, in den ich mich absichtlich nicht hineingemischt habe, hat der Minister des Innern den Schluss gezogen, den Plan einem Franzosen zu geben. Das Städtebaubüro von Istanbul ist aber – zur Zeit wenigstens – mir allein unterstellt. Ich unterschreibe alle Akten, obgleich ich kein wort türkisch kann. Bei dieser Arbeit steht Vertrauen gegen Vertrauen. Ich hoffe sehr, dass ich mit dieser Methode keine schlechten Erfahrungen mache.
[…]
Im übrigen beschäftigen mich die alten Probleme des Städtebaus nicht allzu sehr. Stambul muss ja doch erst durch die Fehler Europas hindurch. Der Nachahmungstrieb bei der Masse eines jeden Volkes ist so gross, dass er wie eine unüberspringbare Barriere vor jedem Neuen steht. Ich lebe darum bewusst – wie im Unterbewusstsein – mehr mit den Problemen mit, die wir bis zum Jahre 1933 in Deutschland herausgestellt haben und an denen wir dann nicht mehr weiter arbeiten durften. Eine kleine Studie aus dieser Zeit füge ich Ihnen bei. Ich habe aber daran nicht mehr weiter arbeiten können, weil ich mich ja um die Ernährung meiner Familie kümmern musste. Aber eines Tages brennen uns diese Fragen ja doch wieder auf den Nägeln. Die Versöhnung zwischen Kapital und Maschine muss in kürzerer oder längerer Zeit doch wirklich werden. Sie wird um so dringender, je mehr Kriege, je mehr Gewalt und Hass das Problem zur Vertagung bringen. Ich glaube darum ganz fest daran, dass wir alle uns wieder bei der gleichen Arbeit zusammen finden werden, sofern wir jung genug bleiben, und nicht der Resignation verfallen.
Dieser Glaube ist keineswegs so hingesprochen. Ich fühle es ganz deutlich, wie Schicksalsfäden uns zusammenhalten. […]
Ja, so ist das Leben! Gropius in London, Taut noch immer in Japan, Mendelsohn in Jerusalem (und London), May in Afrika, Poelzig und Wagner in der Türkei. Nur Häring ist noch in Berlin. In grösster Not half ihm ein Gott. Seine Frau hatte einen Schlaganfall, der sie berufsunfähig machte. Da konnte er die Leitung der Schule Reiman übernehmen, die man mir angeboten hatte, als ich schon Aussicht hatte nach Stambul zu gehen. Ich hatte darum zu seinen Gunsten verzichtet.
[…]
Ich kann diesen Brief aber nicht schliessen, ohne Ihnen noch einmal für den Ihrigen zu danken. Ihr Werk das oben hat sehr tiefen Eindruck auf uns gemacht. Auch Poelzig meinte, dass Sie ein ganzer Kerl wären. Fast möchten wir alle Sie um Ihre Einsamkeit beneiden. Das Schicksal muss doch noch viel mit Ihnen vorhaben, sonst hätte es Ihnen nicht die grosse Sammlung jener Grossen gegönnt, die in die Wüste gingen, um dort ihr Füllhorn geistiger und seelischer Fruchtbarkeit zu füllen. Ich bin neugierig darauf, was Sie uns nach Deutschland heimbringen werden. Lassen Sie sich von Bruno Taut nicht überbieten, mein Lieber. Ich hatte gestern erst wieder seine alpine Architektur in der Hand und gestehe, dass ich diese Arbeit nun erst verstanden habe. Es ist eine ganz grosse Leistung, die in seelischer Einsamkeit entstand und nur in engster Berührung mit dem Kosmos rein ausschwingen konnte. Und jetzt schweigt er wieder. Wenn nur sein Körper dieses Schweigen aushält!
Ihnen traue ich es eher zu, das soll aber keine Aufforderung sein, mich wieder ein Jahr auf eine Antwort warten zu lassen. Bitten Sie Ihre Frau, dass sie Sie etwas mahnt und sagen Sie ihr: “wieder vorlegen nach drei Monaten”. So kommen Sie nicht aus der Übung.
Nehmen Sie die herzlichsten Grüsse von Haus zu Haus
von Ihrem alten
(Wagner)
Footnotes
1Ernst May, 1886-1970, deutscher Architekt und Stadtplaner.
Istanbul, Kadiköy-Moda, Moda-Köskü, on 2 Dec. 1935
Dear May, 11Ernst May, 1886-1970, German architect und city planner.
I almost thought you were dead. However, your letter of October 20, which reached me 3 days ago, shows me that old May is still alive in the black country. You will hardly believe me how happy I was to receive your letter. To be close to the “old fighters” is a matter close to my heart. Now that I myself live abroad, I feel it is doubly necessary for our generation to stick together, both humanly and professionally, especially since I will never give up the hope that we will all be reunited in our fatherland and continue to work on the work from which we were torn away by force. For this reason, I have also decided to reply to you immediately.
You are now receiving this answer from Asia. Yes, I have been living with my family in Asia, i.e. on the Asian side of Istanbul, for about 5 weeks. The family is no longer together completely. My oldest daughter Irmgard has married an assistant of Prof. Höetsch, a Dr. Schüle, and is currently living in – Moscow! Is that not a laughing matter? Dr. Schüle is the representative of the German News Office there, i.e. an office of the Third Reich. He became it, because one had otherwise no Russia connoisseurs. But I can only laugh about that, too. Life goes strange ways. The fact that I am now to become a grandfather in December brings me to a complete fit of laughter.
But I am happy that after 6 months of lonely bachelor life I now have my wife and the two “little ones” with me again. My boy had completed the labor camp in Germany in order to be able to study engineering. However, he was so taken by Stambul that he suddenly decided to become an architect. It is now great fun for me to be able to teach him the first skills in his subject myself.
My youngest daughter Sabine attends an American school here where she wants to improve her English. She is now also turning 19 and has made quite a few friends here.
My wife, of course, stands above it all and bears the uprooting from her homeland with the greatest bravado. After moving into a very modern apartment in the tenement building here, we could at least find our home between four walls.
After six months of negotiations, I have signed a 2-year contract with the city of Istanbul, which puts me quite well materially. Although I am only an urban planning consultant for the city, I have the freedom to work for other cities as well. However, my salary is such that I do not depend on it. However, I did not get the general plan for Istanbul. As a result of the quarrel between Jansen and Ehlgötz, in which I deliberately did not get involved, the Minister of the Interior decided to give the plan to a Frenchman. The urban planning office of Istanbul, however, is — for the time being at least — under my sole control. I sign all the files, even though I don’t know a word of Turkish. In this work, it is trust against trust. I hope very much that I will not have any bad experiences with this method.
[…]
Incidentally, the old problems of urban planning do not concern me too much. After all, Stambul has to go through the mistakes of Europe first. The instinct of imitation in the mass of every people is so great that it stands like an insurmountable barrier before every new thing. I therefore live consciously – as if subconsciously – more with the problems which we highlighted in Germany up to 1933 and on which we were then no longer allowed to work. I enclose a small study from that time. However, I was not able to work on it any further because I had to take care of feeding my family. But one day these questions will be burning on our minds again. The reconciliation between capital and machine must become real in a shorter or longer time. It will become all the more urgent the more wars, the more violence and hatred postpone the problem. I therefore firmly believe that we will all come together again in the same work, provided we remain young enough, and do not succumb to resignation.
This belief is by no means spoken in this way. I feel it very clearly, how threads of fate hold us together. […]
Yes, that’s life! Gropius in London, Taut still in Japan, Mendelsohn in Jerusalem (and London), May in Africa, Poelzig and Wagner in Turkey. Only Häring is still in Berlin. In greatest need, a god helped him. His wife had a stroke that made her unable to work. Then he was able to take over the direction of the Reiman School, which had been offered to me when I already had the prospect of going to Stambul. I had therefore renounced in his favor.
[…]
But I cannot close this letter without thanking you once again for yours. Your work there above has made a very deep impression on us. Poelzig also thought that you were quite a fellow. Almost all of us would like to envy you your loneliness. Fate must still have a lot planned for you, otherwise it would not have granted you the great collection of those greats who went into the desert to fill their cornucopia of spiritual and mental fertility. I am curious to see what you will bring home to Germany. Don’t let yourself be outdone by Bruno Taut, my dear. I had his Alpine architecture in my hands again only yesterday and confess that I have only now understood this work. It is a very great achievement, which came into being in spiritual loneliness and could only resonate purely in closest contact with the cosmos. And now he is silent again. If only his body can stand this silence!
I rather trust it to you, but this should not be an invitation to let me wait again a year for an answer. Ask your wife to give you a little reminder and tell her, “submit again after three months.” That way you won’t get out of practice.
Take the warmest greetings from house to house
from your old
(Wagner.)
Footnotes
1Ernst May, 1886-1970, German architect und city planner.
A close confidant of Atatürk’s 11Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) founded the Republic of Turkey, which emerged from the collapsed Ottoman Empire after World War I, and was its first president from 1923 to 1938. Until today, he is admired as a symbolic figure of Turkish national self-assertion with a strong and mostly uncritical personality cult. He is best known for the uncompromising modernization course with which he led the young Turkish republic: As a path to modernization, he proclaimed a radical laicization and Europeanization of the state. vehemently advocated the recruitment of foreign architects. Experienced architects and artists came to Turkey, including Martin Wagner (1885-1957), the former city architect of Berlin, who came to Turkey in 1935. He received an appointment as urban planning advisor to the city of Istanbul. There he prepared a series of urban planning reports and a general development plan for the city. Through his mediation, a year later the famous architect Bruno Taut was engaged from Japan to Turkey to the Academy of Fine Arts in Istanbul.
During his time in exile in Istanbul, Martin Wagner maintained (correspondence) contacts with many supporters and representatives of Neues Bauen (New Building), such as Ernst Reuter (Ankara), Walter Gropius (first London, later USA) Ernst May (emigrated to Tanganyika in East Africa), Martin Mächler, Hans Scharoun (Berlin) and Bruno Taut (Istanbul).
In the period before World War I until the time of the Weimar Republic (1910s to 1930s), Neues Bauen (New Bulding) emerged as a significant movement in German architecture and urban planning that confronted conservative and traditionalist trends. Neues Bauen was characterized by a rationalist approach and sociopolitical objectives: Housing for as many people as possible was to be created through a simple yet aesthetic architectural style.
“The architects of the Neues Bauen are united beyond all national borders by a warmly felt heart for all people in need; they are unthinkable without a social sensibility; indeed, one might even say that this crowd consciously places the social moments in the foreground of the Neues Bauen.” (Ernst May in: Das Neue Frankfurt 1928)
Under National Socialism, Neues Bauen was suppressed and traditionalist architectural styles were enforced instead.
In this letter to fellow architect Ernst May, who had himself emigrated to Tanganyika, Wagner describes in 1935 how he and his family were living in Istanbul and expresses the hope that the representatives of Neues Bauen (New Building), who had been scattered to various places in exile, would be able to reunite and continue working on the implementation of their ideas.
Footnotes
1Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) founded the Republic of Turkey, which emerged from the collapsed Ottoman Empire after World War I, and was its first president from 1923 to 1938. Until today, he is admired as a symbolic figure of Turkish national self-assertion with a strong and mostly uncritical personality cult. He is best known for the uncompromising modernization course with which he led the young Turkish republic: As a path to modernization, he proclaimed a radical laicization and Europeanization of the state.
Letters of Martin Wagner, Houghton Library (HL) Wagner Archive, HL 7/510x-7/511x.